Zeit

Um die Problematik einer "Gesellschaft in Fluss" im Zusammenhang mit dem zeitlichen Rahmen kurz zu umschreiben, reichen als Einstieg vielleicht folgende Feststellungen:

  • Der erste Eintrag in dieser Datensammlung bezieht sich auf Hryhoryj Izapovyč, einem der ersten het'many der Kosaken. Der Eintrag ist an sich willkürlich gewählt, irgendwann muss man einfach anfangen. Dennoch steht Izapovyč durchaus für einen markanten Anfang.
  • Der (zur Zeit) letzte Eintrag bezieht sich auf Fedir Omel'janovyč, einem sotnyk aus Hluchiv. Der Grund: Er begann seine Karriere bereits 1681 und – wo ich es konnte – habe ich für einzelne (nicht alle) Kosaken in der vorhandenen Sekundärliteratur nach belegten Positionen auch über das Ende des 17. Jh.s hinaus gesucht.

Anfangs- und Endpunkt sind in dieser Datenbank zunächst einmal beliebig. Allein, – es gibt natürlich auch Gründe für die Auswahl.

Izapovyč etwa steht nicht für eines der herausragenden Daten der polnisch-litauischen oder ukrainischen Geschichte, die es wert gewesen wären, als Zäsuren für den Beginn oder das Ende einer Datensammlung herangezogen zu werden. Als solche hätten vor allem die polnisch-litauische Union von 1569 oder die ukrainischen Aufstände unter Severyn Nalyvajko Ende des 16. Jh.s genommen werden können. Beide Ereignisse haben sehr wohl Auswirkungen auf die Kosaken gehabt: Die polnisch-litauische Union hatte zur Folge, dass immer mehr Kosaken als Hoftruppen polnischer oder litauischer Adliger, als Stadtwächter oder als Söldner für die Rzeczpospolita angeworben wurden. Die Aufstände Ende des 16. Jh.s führen wiederum einige kosakische Akteure von einigem Ruhm zu tage. Aber:

  • Zumeist haben wir es in dieser Zeit nur mit amorphen, wenig strukturierten kosakischen Verbänden zu tun, von denen lediglich der Name des jeweiligen Führers bekannt ist.
  • Führung ist bei weitem noch nicht beständig und Legitimität leitet der Führende fast ausschließlich aus seiner Rolle als Versorger gegenüber den von ihm geführten Kosaken ab. Er ist so lange Führer und Repräsentant seiner Truppe, so lange er erfolgreich ist. Darüber hinaus ist der Zusammenschluss zu einer Truppe auftragsabhängig. Am Ende einer Kampagne kann der Führer in eine alte Rolle zurücktreten, einem anderen Herren dienen oder gänzlich verschwinden. Kurz: Kosaken sind in dieser Zeit entweder Söldner (vergleichbar den Landsknechten im Westen) oder aber Räuber oder Steppenbeuter.
  • Kosakenführer leiten aus ihrem Kosakieren noch keine soziale Stellung ab. Sie identifizieren sich mit den Belangen ihrer temporären Truppe (Aufgaben bezogen), mehr aber noch mit den sozialen Strukturen im Hinterland. Es gibt viele Kosakenführer in dieser Zeit, die mehr im Zusammenhang mit der Dynamik des polnisch-litauischen Adels zu sehen sind denn als Vertreter einer spezifisch kosakischen Ordnung zu bezeichnen wären. Umgekehrt können einige namhafte Vertreter mehr als Aufstands- und Bauernführer gesehen werden, die nach einer Operation wiederum in ihre angestammte Rolle abtauchen.

Der eigentliche Grund dafür, dass Hryhoryj Izapovyč hier als erster Kosak aufgeführt wird, liegt in einer – in ihren Auswirkungen auf die Kosaken bisher leider unerforscht gebliebenen – Reform im polnisch-litauischen Reich: die Oranische Heeresreform. Mit dieser Reform versuchte man nämlich erstmals in Polen-Litauen, des Söldnerproblems Herr zu werden und das Erodieren gesellschaftlicher Formationen ebenso in den Griff zu bekommen, wie die Schwächen in der Demobilisierung von Söldnerverbänden zu beheben. Die Mittel hierzu waren: a) Schaffung von regulären Verbänden, b) Unterbindung von wilden Söldnerwerbungen, c) Herstellung von Verantwortlichkeiten durch Organisationsstrukturen (das Wort het'man in Anlehnung an den polnischen Führungstitel hetman oder in Ableitung des über tschechische Verbände nach Polen gekommenen Ranges Hauptmann) bei gleichzeitiger Privilegierung der Verbandsmitglieder. Wir stoßen in dieser Zeit auf die ersten Bestrebungen, stehende Heere aufzustellen, Berufskrieger zu schaffen, um die negativen Auswirkungen des Söldnerwesens zurück zu drängen.

Die Oranische Heeresreform war mit den ersten Maßnahmen Ende des 16. Jh.s noch nicht umgesetzt, sondern dauerte noch fast vierzig Jahre (bis 1638), um dann mit dem Chmel'nyc'kyj-Aufstand 1648 zur vorgegebenen Strukturvorgabe für kosakische Verbände zu werden. "Im Fluss" heißt auch nicht, dass der Weg dorthin und darüber hinaus ohne Widerspruch gewesen sei. Im Gegenteil hat es im gesamten 17. Jh. und in der ersten Hälfte des 18. Jh.s noch erhebliche Widerstände gegen diese Organisationsform gegeben. Weil mit der Zugehörigkeit auch eine Privilegierung der Mitglieder verbunden war, entspann sich entweder ein Kampf um die Mitgliedschaft oder eine zu Teilen schon ideologisch geführte Auseinandersetzung um die Legitimität dieser Organisationsstrukturen: Steppenkosaken, d.h. Kosaken, die fern des Grenzlands in unbeherrschtem Gebiet lebten, setzten den Kosakenverbänden im Grenzland immer ihre ultrademokratische, nicht auf dem Zwang der Hierarchie beruhende, fast anarchische Führungsorganisation durch die Wahl ihrer Führer entgegen. Bauernaufstände Mitte des 17. Jh.s und darüber hinaus, schlossen sich ihnen zumeist argumentativ an und bekämpften die Kosakenorganisation als soziale Schicht. Und sogar unter den Vertretern des Kosakenheeres selbst kam es zu Sezessionen, die sich hier aber mehr an politischen, sozialen und kulturellen Streitpunkten festmachen lassen: Die polnische Liga um einen Ivan Vyhovs'kyj favorisierte so das polnische Adelsmodell und orientierte sich nach Westen; für Kosaken im östlichen Teil der damaligen Ukraine lockte hingegen das Moskauer Reich vor allem als Hort des orthodoxen Glaubens und, weil man es für ungefährlich hielt, sich dem fernen Moskau zu unterwerfen. Im Spannungsdreieck von Organisation, Legitimation und sozialem Stand treffen wir daher in den 1660er Jahren auf "Kosaken" als eine gesellschaftliche Formation, die untereinander völlig zerstritten war.